12 Aug Ehrenamtliche ebnen den Weg in die neue Welt
Viernheim
SERIE PFIVV DAS PROJEKT FÜR INTERKULTURELLE VERMITTLUNG IN VIERNHEIM BILDET SEIT JAHREN INTEGRATIONSLOTSEN AUS
16. Juli 2020 Autor: Corina Busalt
Bild: Gonca Karagöz ist seit 2013 die Leiterin der Abteilung PfiVV.© corina Merkel
Viernheim. Intergrationslotsen sind Wegweiser in einer fremden Welt – und sie tun viel mehr, als dabei zu helfen, ein Formular auszufüllen: Sie wollen Vorbild sein für andere Menschen mit Migrationshintergrund. Denn die meisten der Integrationslotsen waren selbst einst Neuankömmlinge in der Stadt Viernheim. Sie wissen, wie schwer es sein kann, sich zu integrieren, sich einzubringen in eine Gesellschaft, die einem nicht vertraut ist.
Das Projekt für interkulturelle Vermittlung in Viernheim (PfiVV) beim Verein Lernmobil hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Menschen zu helfen. Seit der Gründung im Jahr 2008 bildet die Initiative Integrationslotsen aus, die wöchentliche Sprechstunden anbieten. In einer redaktionellen Serie schauen wir in den kommenden Wochen einigen dieser Integrationslotsen bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit über die Schulter.
Das Aufgabenfeld hat sich in den vergangenen zwölf Jahren stetig erweitert. Die 38 Integrationslotsen, die aus 19 Ländern kommen und 26 Sprachen sprechen, sind mittlerweile in allen wichtigen Behörden und Institutionen anzutreffen: in den Schulen, im Rathaus, im Jobcenter, in der Baugenossenschaft und den Flüchtlingsunterkünften. Es gibt ein Büro in einem Waggon am Treff im Bahnhof (TiB) und zwei Integrationslotsinnen, die Projektarbeit betreiben, beispielsweise Sprachkurse anbieten.
„Die Integrationslotsen versuchen, Chancengleichheit für alle zu schaffen“, sagt Gonca Karagöz. Sie ist seit 2013 Leiterin der Abteilung, die nicht nur Viernheimer zu Integrationslotsen ausbildet, sondern auch Anwärter aus Bensheim, Lampertheim, Heppenheim, Biblis, Bürstadt, Groß-Rohrheim und Lorsch. Von 2008 bis 2019 gab es sechs Lehrgänge. Die Ausbildung umfasst sieben Module, zwei Workshops, ein Ganztagsseminar, ein Praktikum sowie ein Abschlusskolloquium.
Und welche Voraussetzung sollten Bewerber mitbringen? Gonca Karagöz überlegt: „Eigentlich sollten sie reflektieren können“, sagt sie. Ein Eins-a-Hochdeutsch sei dabei gar nicht so wichtig. „Die Bewerber sollten offen gegenüber allen Mitmenschen – egal welcher Herkunft – sein“, sagt sie. Zwar habe „jeder seine Schubladen und seine Vorbehalte“, das sei ganz normal, dennoch: „Ich muss als Lotsin aushalten und respektieren, wenn mein Gegenüber etwas macht oder trägt oder glaubt, was nicht meiner Überzeugung entspricht. Schließlich leben wir diese Demokratie.“
Bei der Ausbildung zum Integrationslotsen lernen die Teilnehmer auch, wie sie mit Rassismus und Diversität umgehen können, wie sie sich selbst schützen, Grenzen setzen und neutral bleiben. Letzteres sei enorm wichtig, so die Vorsitzende: „Die Lotsen müssen genau das übersetzen, was gesagt wurde. Sie dürfen nicht ihre eigene Meinung mit einfließen lassen“, sagt Karagöz.
Das Aufgabenfeld der Lotsen – ein Großteil von ihnen ist weiblich, es gibt zurzeit nur einen Mann – ist vielfältig. Viel zu tun gibt es im Rathaus. Die Behörde ist fast immer die erste Anlaufstelle für Neuankömmlinge. „Wenn die Mitarbeiter des Bürgerbüros merken, dass die sprachliche Barriere zu hoch ist, dann können sie uns direkt kontaktieren, und wir übersetzen und füllen gemeinsam aus“, sagt Karagöz. Genauso funktioniert es auch im Jobcenter, bei der Baugenossenschaft oder in den Schulen: Die Mitarbeiter stellen für die Migranten den Kontakt zu den Integrationslotsen her. „Klar, kann es immer sein, dass uns Leute noch nicht kennen“, sagt Karagöz. Aber in der Regel funktioniere dieses System sehr gut. Die Integrationslotsen, die in der Schule tätig sind, haben noch eine Zusatzausbildung zu Elternbegleitern absolviert. Sie bieten etwa Seminare für die Eltern der Kinder in den Vorlaufkursen an, beschreiben den Vätern und Müttern das deutsche Schulsystem, das sich oft stark von dem ihres Heimatlandes unterscheidet.
ANFORDERUNGSPROFIL
Wer Integrationslotse werden will, sollte über gute Deutschkennt-nisse und gute Sprachkenntnisse in einer weiteren Sprache verfügen.
Bewerber sollten eigene Migrationserfahrung oder Erfahrung in der Migrationsarbeit sowie die Bereitschaft mitbringen, später verbindlich in einer Interkulturellen Anlaufstelle mindestens zwei Stunden in der Woche mitzuarbeiten.
Weitere Infos gibt es unter lernmobil-viernheim.de/pfivv-integrationslotsen. mek
Bei Elterngesprächen dabei
„Wir erklären zum Beispiel auch, was eine Schultüte ist, und was dort alles hineinkommt“, sagt Karagöz. Bulgaren oder Rumänen könnten damit oft nichts anfangen. Die Kurse für die Eltern seien sehr erfolgreich, so Karagöz: „Die Eltern, die an den Seminaren teilgenommen haben, engagieren sich oftmals in Elternbeiräten oder helfen beispielsweise bei Schulfesten mit.“ Die Lotsen sind zudem bei Elterngesprächen dabei und bei größeren Elternabenden.
Derzeit plant die PfiVV-Abteilungsleiterin, Integrationslotsen am St.-Josef-Krankenhaus einzusetzen. „Beim ersten Besuch beim Hausarzt begleiten wir die Menschen schon“, erklärt sie. Im Krankenhaus seien sie noch nicht so sehr vertreten. Und da sei eine Übersetzung oft unerlässlich. „Fachsprachen sind ja sogar für Muttersprachler schwer zu verstehen“, sagt Karagöz und lacht.
© Südhessen Morgen, Donnerstag, 16.07.2020