08 Feb. „Wegen Corona klappt nichts!“
BÜRSTADT
FAMILIENPROGRAMM STADT BÜRSTADT ZEICHNET ENGAGIERTE TEILNEHMER AUS / ARBEITSSUCHE GESTALTET SICH IN PANDEMIE-ZEITEN SCHWIERIGIT NEUEM KONZEPT FOR
01. Februar 2021 Autor: Corinna Busalt (cos)
Brigitta Eckert vom Lernmobil (v.l.), Hawa Nur, Saeideh Farokhi und Maleki Golestani sowie Bürgermeisterin Bärbel Schader freuen sich über den Abschluss des Familienprogramms.
© Berno Nix
„Ich bin zuhause, es ist sehr langweilig“, sagt Saeideh Farokhi. Die 40-Jährige lebt mit ihrem Mann Maleki Golestani und den beiden Kindern in Bürstadt. Sie kamen vor vier Jahren aus dem Iran, die Eltern haben am Familienprogramm des Lernmobils teilgenommen. Diese Zeit des Lernens haben sie sehr genossen – während der Corona-Pandemie ist es für ihren Geschmack dagegen viel zu ruhig. Auch das Zertifikat für ihre Teilnahme erhalten die beiden ein ganzes Jahr später. Sie freuen sich, wieder Menschen zu sehen. „Wir treffen niemanden und können gar nicht Sprechen üben“, sagt Golestani. Ganz passend findet er dazu ein deutsches Sprichwort: „Übung macht doch den Meister.“
Die beiden fühlen sich wohl in Bürstadt, obwohl es „eine kleine Stadt ist“, wie sie sagen. Sie stammen aus Teheran, der Hauptstadt des Irans. Ihre 22 Jahre alte Tochter macht eine Ausbildung in Bensheim, der 17-jährige Sohn besucht die zehnte Klasse der Alfred-Delp-Schule in Lampertheim. Die Eltern wollen auch etwas tun. „Ich suche Arbeit und habe mich viel beworben, aber jetzt wegen Corona klappt nichts“, sagt Farokhi. Sie zuckt die Schultern. In Teheran hat sie als Friseurin gearbeitet, ihr Mann als Automechaniker. Auch er fand bisher keine Anstellung. Überall werde nach dem Zertifikat gefragt und seine Ausbildung nicht anerkannt. Er würde aber auch etwas anderes machen.
Mal wieder einen echten Termin und nicht nur am Bildschirm zu haben, freut auch Bürgermeisterin Bärbel Schader sowie Brigitta Eckert vom Lernmobil in Viernheim. Beide loben die Partnerschaft zwischen Stadt und Verein, um die Integration zu fördern. Das Familienprogramm, das Farokhi und Golestani erlebt haben, gibt es seit fünf Jahren. Dabei geht es vor allem darum, Eltern zu vermitteln, wie sie ihre Kinder unterstützen können. Zusammen mit dem iranischen Ehepaar haben acht weitere Eltern teilgenommen. Wegen Corona wurden nur die beiden eingeladen und stellvertretend für alle anderen ausgezeichnet.
Bei Farokhi geht die Fortbildung direkt weiter: Die 40-Jährige will Integrationslotsin werden. Sie spricht neben Persisch auch Farsi und kann auch Menschen aus Afghanistan verstehen. Im Dezember soll sie dann ausgebildete Lotsin sein. Eine der ersten in diesem Ehrenamt in Bürstadt ist Hawa Nur, die somalischen Wurzeln hat. Seit vier Jahren setzt sie sich mit viel Engagement als Lotsin ein, inzwischen trainiert
sie auch andere. „Ich begleite die Menschen zum Arzt, zu Behörden oder in die Kita. Wegen Corona ist alles etwas schwieriger, aber wir machen das weiter. Wir müssen nur feste Termine vereinbaren“, erzählt Hawa Nur. Als sie als Kind mit ihrer Mutter nach Deutschland kam, habe es keine Hilfen gegeben. Deshalb weiß sie, wie wichtig es ist, Neuankömmlinge zu begleiten und den Eltern klar zu machen, wie wertvoll Bildung ist.
Einen vermissen alle beim Termin im Bürgerhaus: Jürgen Knödler, der vergangenes Jahr verstorben ist. Als Integrationsmanager hat er im Interkulturellen Büro in der Alten Schillerschule die Grundlagen für die Integrationsarbeit geschaffen. Sieben Lotsen führen die Arbeit mit Ehrenamtlichen weiter. „Er war ein Glücksgriff für uns“, sagt Schader.
Das Familienprogramm des Lernmobils ist mittlerweile 15 Mal in Viernheim und Bürstadt gelaufen. Stolz ist Brigitta Eckert, dass es bald in anderen Städten umgesetzt werden soll. „Wir schreiben gerade ein Trainerbuch.“ Das Handbuch werde angepasst, um die Inhalte auch online vermitteln zu können. Anspruchsvoll sei es für die Lehrer, alle Inhalte in möglichst einfacher Sprache zu vermitteln. Wichtig sei ihnen auch, dass die Teilnehmer untereinander Kontakt finden und sich gegenseitig unterstützen können. „Wir setzen das trotz Corona fort, Interessierte können sich jederzeit melden“, sagt Eckert. Denn das Motto des Lernmobils lautet: „Integration kann nicht warten.“
© Südhessen Morgen, Montag, 01.02.2021