03 Dez. Lernmobil – die Erfolgsgeschichte zweier arbeitsloser Lehrer
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Bildung
4.11.2021
Die Zuwanderinnen Larysa Kay-Kulakowski (l.) und Svetlana Schwandt haben beim Lernmobil ihre berufliche Heimat gefunden. © BILD. BERNHARD KREUTZER
Viernheim. 35 Jahre zurück: Zwei arbeitslose Lehrer versuchen, sich mit Nachhilfe und Sprachkursen eine Zukunft aufzubauen. Es sind zwei von vielen Tausend arbeitslosen Lehrern zu dieser Zeit. Das Land spart im Bildungssektor. Heute: Aus der Selbsthilfe-Initiative der Beiden ist ein stattlicher Arbeitgeber geworden. Der Verein Lernmobil – Integration durch Bildung, den sie gegründet haben, beschäftigt aktuell 117 festangestellte Mitarbeitende, viele in Teilzeit. Dazu kommen 26 Dozenten, 50 semiprofessionelle und 23 ehrenamtliche Mitarbeitende. Die Geschäftsführer heißen Brigitta Eckert und Gerd Baltes. Es sind die beiden arbeitslosen Lehrer von damals. Wir besuchen die Schaltstelle des Lernmobils im Viernheimer Schlangenpfad.
Gerd Baltes macht deutlich, im Selbsthilfe-Projekt und dem später gegründeten Verein habe neben der Entwicklung von neuen Arbeitsfeldern immer auch die Entwicklung neuer Arbeitsplätze im Mittelpunkt gestanden. Bis heute sind zahlreiche unterschiedliche Arbeitsbereiche entstanden. Die meisten Menschen, die sie ausfüllen, stammen aus unterschiedlichen
Herkunftsländern, bringen eigene Berufsbiografien mit und sind von ihrem Arbeitgeber, dem Lernmobil, für ihre Aufgaben qualifiziert worden. Dabei böten die eigenen Sprach- und Integrationskurse die beste Grundlage dafür, neue Mitarbeitende zu finden. „Wir sind in den Kursen immer auf Schatzsuche“, sagt Brigitta Eckert. Ja, die Menschen mit ihren Sprachen, Biografien, Erfahrungen, Talenten und beruflichen Qualifikationen sind Schätze für sie.
Zu ihnen zählt etwa Svetlana Schwandt. Die 39-Jährige kam vor acht Jahren der Liebe wegen nach Viernheim. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Das wollte sie schnell ändern und ging zum Lernmobil. „Ohne die Sprache verstehen und sprechen zu können, fühlte ich mich wie stumm und taub.“ Schwandt legte sich ins Zeug, sie lernte über das Kursangebot hinaus. Mit Erfolg. Man hört höchstens einen Hauch von slawischem Akzent. Ihr Deutsch ist nicht nur gut, sondern geschliffen, inklusive Grammatik. Die gelernte Musiklehrerin hat dann mit der Ausbildung zur ehrenamtlichen Integrationslotsin begonnen. Nach verschiedenen Stationen ist sie heute für die Koordination der Integrationskurse des Lernmobils zuständig.
Beide profitieren
Dabei profitieren sie und ihr Arbeitgeber von Qualifikationen, die sie aus Russland mitgebracht hat. Dort war sie zehn Jahre lang im Marketing tätig,hat Teams geleitet und Management-Erfahrung gesammelt. Svetlana
Schwandt: „Ich kenne die Wirtschaft, dort steht der Profit im Vordergrund. Das ist beim Lernmobil nicht so. Hier stehen alle für die gleichen Werte ein.“ Und die seien eben nicht kommerziell orientiert. „Das Lernmobil ist wirklich ein sehr guter Arbeitsplatz“, sagt Schwandt. Larysa Kay-Kulakowski stammt aus der Ukraine. Sie ist 1998 aus wirtschaftlichen Gründen ausgewandert. Für Akademiker habe es zu dieser Zeit in der Heimat kaum Jobs gegeben. Kay-Kulakowski hat in der Ukraine bis zur zehnten Klasse Deutsch unterrichtet. Ihr Diplom wird in Deutschland nicht anerkannt. 2005 kam sie nach Viernheim und schaute sich um nach
Möglichkeiten, sich einzubringen.
Das Lernmobil suchte eine Vertretung in der Kinderbetreuung. Das war der Einstieg für die heute 50-Jährige. Jetzt leitet sie den Fachbereich Erwachsenenbildung beim Lernmobil. „Und das ist prima. Ich habe gemerkt, dass es mir mehr Spaß macht, Erwachsene zu unterrichten als
Kinder.“ Kay-Kulakowski ergänzt: „Das ist typisch fürs Lernmobil: Erst hat man einen Fuß in der Tür, dann bleibt man für immer.“ Die sogenannte große Flüchtlingswelle von 2015 hat Ameen Hamdoon (31) nach Deutschland gebracht. Er ist mit zusammen mit seinem Cousin aus dem irakischen Mossul geflohen, aus Angst vor dem Terror dort. Die Beiden landeten zunächst in Waldshut-Tiengen. Dort lernte Hamdoon Deutsch, Englisch konnte er schon. Sein Abschluss in pädagogischer Psychologie aus dem Irak wird hier nur teilweise anerkannt. Hamdoon fand eine Anstellung in Heidelberg, so richtig gefallen hat es ihm nicht. Ein Stellenangebot der Jobbörse brachte ihn zum Lernmobil. Dort arbeitet er jetzt in der Migrationsberatung für Erwachsene. Beim Lernmobil fühlt er sich gut aufgehoben. „Als Mensch und als Fachkraft. Ich kann Menschen helfen und mich selbst entwickeln.“ Rita Klemmer ist mit 69 Jahren noch für das Lernmobil aktiv. Und zwar in der Schülerbetreuung der Lampertheimer Schillerschule. „Ich bin allein, die Kinder sind längst aus dem Haus. Was soll ich zu Hause herumsitzen? Die Aufgabe tut mir gut und hält mich fit“, sagt sie.
Nicht nur Zertifikate
Beata Gergely (44) hat in Ungarn einen Abschluss in Volkswirtschaftslehre gemacht. Sie kam 2013 nach Viernheim, weil ihr Mann in der Gegend einen Job gefunden hatte. Deutsch hatte sie schon in der Heimat am Gymnasium gelernt. Über den Sprachkurs für ihren Sohn kam der Kontakt zum Lernmobil zustande. Zunächst waren es ehrenamtliche Tätigkeiten, heute ist Gergely als Projektkoordinatorin fest angestellt. Die Ideale des Lernmobils würden gelebt, es würde nicht nur darüber gesprochen, sagt sie. „Es geht hier nicht nur um Zertifikate allein. Es geht um die Menschen.“ Es ist wohl das Sinnstiftende, das die ausgeprägte Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Lernmobil als Arbeitgeber bewirkt.
Martin Schulte © BERNO NIX
Martin Schulte Redaktion Reporter.