
26 Okt. So lernen Analphabeten in Viernheim Lesen und Schreiben
So lernen Analphabeten in Viernheim Lesen und Schreiben
Der Viernheimer Verein Lernmobil hat ein Pilotprojekt für Analphabeten und Analphabetinnen gestartet und zieht nun eine erste Bilanz
5.10.2024
Von Othmar Pietsch
Bild: Olga Ruppel (hinten) geht mit den Teilnehmenden des Alphabetisierungskurses die Begriffe einer Computertastatur durch. © Othmar Pietsch
Viernheim. Integrationskurse zur Alphabetisierung bietet der Verein Lernmobil in Viernheim bereits seit 2006 an. Dabei wurden zunächst primäre Analphabeten mit funktionalen Analphabeten gemeinsam unterrichtet. Primäre Analphabeten sind Personen, die noch nie Lesen und Schreiben gelernt haben. Bei funktionellen Analphabeten sind schriftsprachliche und sprachmündliche Kompetenzen niedriger als erforderlich.
Die Ergebnisse der Integrationskurse zur Alphabetisierung waren allerdings nicht so gut wie erhofft, weshalb die Verantwortlichen an einer bundesweiten Ausschreibung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge teilgenommen haben, um ein neues Konzept für einen Alphabetisierungskurs zu entwickeln – mit Erfolg. Die Behörde befand die Vorschläge als unterstützenswert und erteilte den Zuschlag für das Viernheimer Pilotprojekt.
Seit Januar 2024 läuft im Lernmobil der entsprechende Alpha-Pilotkurs, der ausschließlich primäre Analphabeten unterrichtet. Edith Mandel, Monika Volk, Olga Ruppel und Rosa Elisabeth Herrera Valdez verfügen über eine Zulassung für das Unterrichten in Alphabetisierungskursen und mehrjährige Erfahrungen. Der Unterricht findet an vier Tagen zu je fünf Schulstunden im Stiftungshaus des Lernmobils statt. Insgesamt werden 1300 Unterrichtseinheiten mit je 45 Minuten durchgeführt. Die neun Teilnehmenden kommen aus Syrien, Afghanistan, der Türkei und aus der Ukraine.
Auf 100 Lerneinheiten folgt dann der Test
„Normalerweise ist es sehr schwierig, die Inhalte und das Tempo den Bedürfnissen jedes Teilnehmenden anzupassen“, sagen die Lehrkräfte. Da nun ausschließlich primäre Analphabetinnen und Analphabeten teilnehmen, sei es viel entspannter, auf jeden individuell einzugehen. Die Erfahrungen seien bislang gut.
Neben Lesen und Schreiben werden auch digitale Fertigkeiten vermittelt. Dazu gehören etwa das Bedienen eines Smartphones oder Tablets, ebenso wie das Schreiben auf der Tastatur. Hierfür stellt das Lernmobil Tablets zur Verfügung.
Nach jeweils 100 Unterrichtseinheiten wird ein kursintegrierter Test geschrieben, der von den Lehrkräften entwickelt wurde. In den letzten Kursabschnitten werden die standardisierten Prüfungsformate trainiert. Das hilft den Teilnehmenden dabei, sich schrittweise mit dem abschließenden Sprachtest und den Prüfungsstrategien vertraut zu machen. Ziel ist das Sprachniveau A1.
„Wir sitzen aber nicht nur im Klassenzimmer, sondern gehen immer auch wieder raus, um einzukaufen, Kaffee zu trinken. Wir frühstücken gemeinsam und wir haben auch schon gekocht“, erzählt Edith Mandel. Beim Besuch in der Stadtbücherei, wo die Teilnehmenden hervorragend beraten worden seien, konnten sie Bücher ausleihen. Edith Mandel legt auch Wert auf die praktische Umsetzung der frisch erworbenen Kenntnisse.
„Diese Leute konnten bisher null Bildungserfahrung in ihren Heimatländern sammeln“, sagt Oxana Berduta, Leiterin des Fachbereichs Sprachförderung für Erwachsene. „Wir wollen ihnen nun dabei helfen, ihren Alltag in Deutschland eigenständig zu bewältigen.“ Die Tests hätten gezeigt, dass der Unterricht gut ankomme und schnell zu Erfolgserlebnissen führe. „Das merken auch die Teilnehmenden – und sind entsprechend engagiert bei der Sache.“
Othmar Pietsch Freier Autor